Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition) by Gisbert Haefs

Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition) by Gisbert Haefs

Autor:Gisbert Haefs [Haefs, Gisbert]
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
Herausgeber: E-Books der Verlagsgruppe Random House GmbH
veröffentlicht: 2012-12-04T23:00:00+00:00


FÜNFZEHN

Der Weg nach Herceg Novi

Zwei seiner Leute, hatte Goran mir vor einiger Zeit erzählt, seien noch nicht nach Orebić heimgekehrt. Als Antonio mit einer halben Geschichte bei Velimir erschien und die Alten weckte, war Goran losgezogen, um seine beiden Seeleute aus feuchten Armen oder weichen Träumen zu reißen. Sie hatten das Boot schnell bereitgemacht, notdürftig Wasser und Vorräte an Bord gebracht – und als die Sonne aufging, befanden wir uns bereits westlich der Seemauer von Dubrovnik. Aus der Bucht von Gruž hatten wir ein wenig rudern müssen; draußen ging ein kräftiger Nordost, der uns schnell nach Süden trieb.

An Bord eines Seglers ist vielerlei zu flicken; deshalb gab es natürlich Nadel und Faden. Goran stand am Steuer des einmastigen Schiffs – es war seines, nicht das neue, für das er immer noch keinen Käufer gefunden hatte – und sah mit sichtbarem Wohlgefallen zu, wie ich unterhalb der aufgenähten Degenscheide den Bezug des Fiedelkastens auftrennte und einen mehrfach gefalteten Lappen herausholte, in dem hundert Zechinen steckten.

»Ich habe mich von dir zu weit herunterhandeln lassen, wie ich sehe«, sagte er.

»Wie du siehst«, sagte ich, »gibt es einen kleinen Rest, den ich dir nicht in den Rachen stopfen kann, weil ich ihn für Brot und Schuhsohlen brauche.«

»Man kann barfuß gehen.«

Ich faltete den Lappen mit den verbliebenen siebzig Münzen wieder zusammen und vernähte den Bezug. Die goldenen Dukaten lagen auf den Planken neben mir, und die Sonne ließ den geringen Hort gleißen wie einen Staatsschatz.

Als ich mit dem Nähen fertig war, stand ich auf und brachte Goran die Münzen. Er hielt das Steuer mit einer Hand und genoß ganz offensichtlich den Anblick der anderen Handfläche. Dann seufzte er, steckte die Münzen in eine Hosentasche und sagte: »Magst du nicht mein Schifflein jeden Tag mieten? Es wäre gut für mein armes altes Herz. Von den Augen gar nicht zu reden.«

Ich legte Nadel und Faden zurück in die Kiste mit dem Flickzeug und kleinen Gerätschaften. »Dein Herz und deine Augen mögen sich anderswo laben. Wie lange, meinst du, werden wir bis zur Bucht brauchen?«

Goran kniff die Augen zusammen, warf einen Blick auf die langsam vorüberziehende Küste, dann auf die gut gefüllten Segel und wackelte mit dem Kopf. »Wenn der Wind hält – drei, vier Stunden?«

Antonio und ich hatten, so gut es ging, beim Segelsetzen und anderen Verrichtungen geholfen, deren Bezeichnungen wir ebenso wenig kannten wie die Namen der Gegenstände, die wir dabei anzufassen hatten. Nun gab es nichts für uns zu tun. Er saß am Fuß des größeren der beiden Masten und schaute aufs Meer hinaus.

»Willst dich mit dem Dogen streiten, wer von euch sich mit dem Wasser vermählen darf?« Ich setzte mich zu ihm.

Er schnalzte leise. »Ich dachte eben darüber nach, wie es kommt, daß man so lange am Gestade lebt und nichts von dem weiß, was auf dem Wasser geschieht.«

»Möchtest du im nächsten Leben ein Fisch sein?«

»Und von solchen wie Goran und Velimir gefangen und gegessen werden? Ah, nein. Aber wir sollten über meine Beteiligung an der – nennt man das Heuer? Also, die Miete dieses Fuhrwerks.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.